Leipzig 1723 – Rivalen im Dialog

Leipzig, im Frühjahr 1723 – Im Rennen um das Thomaskantorat schienen entweder der haushohe Favorit Telemann oder die B-Lösung Graupner als Sieger hervorzugehen, auch der junge Fasch warf seinen Hut in den Ring, doch schlussendlich triumphierte der anfangs chancenlose Außenseiter Johann Sebastian Bach. Telemann pokerte mit der Bewerbung in Leipzig wohl mehr auf eine Gehaltserhöhung in Hamburg, während Graupner zwar gerne von Darmstadt nach Leipzig gezogen wäre, doch ließ sein Dienstherr den geschätzten Hofkapellmeister nicht gehen. Über Bachs Bewerbung ging hauptsächlich das Bonmot  eines seiner Gegner in die Musikgeschichte ein, Leipzig habe sich am Ende mit der dritten Wahl zufriedengeben müssen. 

Diesen historischen Wettstreit füllen Sopranistin Johanna Jäger und Bass Vincent Berger zusammen mit dem baroktotaal-Orchester unter Leitung von Ivo Mrvelj auf stimmungsvolle Weise wieder mit Leben. Neben der majestätischen Ouvertüre in d-Moll von Johann Friedrich Fasch und einem formidablen Oboen-Konzert Christoph Graupners stehen zwei Dialogkantaten der großen Musici Bach und Telemann im Mittelpunkt. Telemanns ‘Dein Schade ist verzweifelt böse”, aus seiner frühen Frankfurter Zeit stammend, zeichnet affektreich das Gespräch zwischen Jesus und der Seele. Bachs Kantate ‘Ich geh’ und suche mit Verlangen’,  wiederum «in dialogo», zieht im innigen Zwiegespräch von Sopran und Bass die Liebeslyrik des alttestamentarischen Hoheliedes zum Ausdruck jener Vereinigung von Seele und Heiland heran, die im Abendmahl sowie der gläubigen Annäherung an Christus sinnliche Gestalt annimmt.Zu guter Letzt ist die Reaktion Graupners auf die Wahl heute wohl eher als Understatement zu sehen: Nachdem er erfahren hatte, dass in Leipzig Bach gewählt worden war, schrieb er an den Rat der Stadt, Bach sei »ein Musicus, ebenso stark auf der Orgel wie erfahren in Kirchensachen und Capell-Stücken, der honeste und gebührlich die zugeeignete Funktion versehen« werde. Der Rest ist Musikgeschichte…

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