Die Taufschale aus dem Dreißigjährigen Krieg

Als Soldaten 1642 Wahren wiederum plünderten, raubten sie auch die zinnerne Taufschale aus der Kirche. Sie befand sich bis dahin inmitten einer hölzernen Abdeckung, die auf dem romanischen Taufstein lag. Noch im gleichen Jahr wurde eine neue Schale aus Leipzig beschafft, Kosten 3 Taler. Auch Max Kohlmann erwähnte sie in seinem bekannten Buch zu Wahren 1920, er meinte aber, die alte Taufschüssel mit dem Ochsenkopf sei unterdessen ein Verlust. Dass es hierbei um einen Irrtum geht und Kohlmann sich offenbar die Schale in der 1903 hergestellten neuen Holztaufe nicht genauer angeschaut hatte, ergab sich im Zusammenhang der Restaurierung der Taufe 2019:

Die jetzige Schale für die Holztaufe entstand nicht erst 1903, sondern vielmehr handelt es sich um die alte von 1642

Sie zeigt bei näherem Betrachten – vorliegend um die Hälfte vergrößert – außer Leipzigs Zinnprägemarke links und rechts je den Ochsenkopf (die Doppelung als Qualitätsaufwertung), und dazu das Monogramm S. K., sowie eine 13, letztere wahrscheinlich eine Produktionszahl.

Das Monogramm bezieht sich auf Samuel Kessler d. Ä., seit 1604 in Leipzig, 1616 hier Obermeister der Zinngießer und zuletzt nachgewiesen 1646. Zusätzlich ist auf der Rückseite der Schale in originaler Schrift Wahren 1642 eingekratzt .

In der Gestaltung wirkt die sechseckige Schale, 51 cm breit, eher schlicht. Auffallend sind nur die beiden beweglichen Griffe. Sie erleichtern das Herausheben und waren einst auch deshalb praktisch, weil man nach vollzogener Taufe das Wasser weg goss, um seine Verwendung zu abergläubigem Zweck zu verhindern. In ihrer sechseckigen Form offenbart die Schale zudem einen theologischen Sinn: Am 6. Schöpfungstag wurde Adam, der erste Mensch, und schon bald darauf sündenfällig, erschaffen. Mit dem Wasser der Taufe dagegen wird dem Menschen der neue Adam mit Anwartschaft auf das Paradies geschenkt. Die flache runde  Erhöhung inmitten der Schale sollte einerseits der Stabilisierung dienen und war andererseits wohl auch der Ort für die Taufkanne.

Zugleich bestimmte das Sechseck der Schale die Gestaltungsform der 1903 neu gefertigten Holztaufe. Sie ist nach ihrem Entwurf sowie der handwerklichen Ausführung als eine kunstvolle und gediegene Leistung einzuordnen. Hierbei zu beachten ist auch der pflanzliche Schmuck des Schnitzwerkes, der mit Blatt und Früchten ein weiteres Mal das Thema Paradies aufgreift. Sicher wird bei der Einbeziehung der bisherigen Schale in die neue Holztaufe die Würdigung der Tradition eine Rolle gespielt haben. (Man müsste die Zahl der Täuflinge seit 1642 einmal zählen!) Das Ende in dieser Funktion erfolgte 1958. Damals holte man den 1903 in den Pfarrgarten verbannten romanischen Taufstein in die Kirche zurück und stattete ihn – ohne von der Geschichte der alten Schale zu wissen – mit einem stattlichen, in Kupfer getriebenen Becken aus.

Inzwischen ist nicht allein die über längere Zeit dann wenig gewürdigte und zudem beschädigte Holztaufe restauriert worden, sondern jüngst auch das Lesepult. Beides sind Kirchenmöbel, die damals Fritz Drechsler (1861-1922), einer der Väter des Leipziger Jugendstils, in bewusster Korrespondenz zum ebenfalls holzsichtigen Kanzelaltar geschaffen hatte. Zusammen mit den Liedtafeln und den ähnlich gebeizten Kirchenbänken, abgehoben vom Elfenbeinton der Emporen, besitzt dadurch die Gnadenkirche einen ansprechenden und unverwechselbaren Charakter.

Gerhard Graf

Alle Abbildungen von Friedrich Gentzsch.

>