Zur Geschichte der Gnadenkirche
Wahren liegt an einem alten Fernweg, der, von Merseburg oder Halle kommend, sich hier in Richtung Taucha oder Leipzig gabelte. Während des 10.Jh.s gründete man in dem damals noch sorbischen Gebiet auf dem Gelände des jetzigen Kirchberges einen deutschen Stützpunkt. Er wird erstmals erwähnt, als im Februar 1004 König Heinrich II. in Warim eine Urkunde ausstellte (Leipzig dagegen ist zuerst 1015 genannt.)Im Zuge der deutschen Besiedlung entstand um 1100 ein Adelssitz, zu dem eine Pfarrkirche gehörte. Zunächst wohl aus Holz, wurde sie vor 1200 durch einen Steinbau ersetzt. Dieses Mauerwerk ist weithin in den Wänden von Altarraum und Kirchenschiff noch vorhanden. (Zwei kleine gut erhaltene Rundbogenfenster wurden 1992 im Zusammenhang der letzten Renovation wiederentdeckt und freigelegt.) In der zweiten Hälfte des 15.Jh.s setzte ein weitgreifender Umbau ein, der durch seinen auffälligen Turm, durch die spitzbogig vergrößerten Fenster des Kirchenschiffs sowie durch den erweiterten Chor (das Ostfenster besitzt noch die alten verzierten Formziegel) bis heute der Wahrener Kirche ein unverwechselbares Gepräge gibt.Die 1544 begonnene, 1562 abgeschlossene Reformation hat baulich wenig verändert. 1629/30 errichtete man, außen geschmückt mit einem manieristischen Stufengiebel, einen neuen Schülerchor (der Platz für Kantor und Kurrende). Er wurde durch die Rittergutsfamilie von Stammer zur Patronatsloge umgestaltet, nachdem 1697 die Kirche eine Orgel an der Westseite bekommen hatte, von wo aus nunmehr der Kantor die Kirchenmusik leitete. Ebenfalls im Barock erhöhte man die Emporen um ein zweites Geschoß, und 1736 wurde der spätgotische Flügelaltar von 1497 in die neu geschaffene, mit Schnitzwerk gerahmte Rückwand eingefügt.1844 entfernte man den Flügelaltar von dort und ersetzte ihn durch die Kanzel, die bisher in der Südostecke des Kirchenschiffs gestanden hatte. Das Ergebnis der damaligen Renovation war ein heller und freundlicher Raum, der etwa dem gegenwärtigen Eindruck entspricht.Die Modernisierung von 1901 bis 1903 bewahrte dank der kritischen Begleitung durch den bekannten Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt (1850-1938) einerseits viel von der mittelalterlichen Bausubstanz, andererseits wurden durch den Architekten Fritz Drechsler (1861-1922) bauliche Neuerungen bewusst in dem damals aufkommenden Leipziger Jugendstil ausgeführt. Aus dieser Zeit stammen gleichfalls die Seitenaufgänge am Turm und die Treppe zur ehemaligen Rittergutsloge. Der südliche Anbau, die alte Leichenhalle, datiert dagegen bereits von 1668.
Ausstattungsstücke
(aus mehr aus mehr als 800 Jahren)
Romanik: Taufstein, früher rot gefasst, vor 1200; Werkstück, jetzt als Osterleuchter im Gebrauch.
Gotik: Reste aus dem 1497 geschaffenen Flügelaltar (12 Apostel) und teilweise das Unterteil,
die Predella (mit zwei Weihnachtsbildern);
Turmuntergeschoß, jetzt Taufkapelle, mit 2 Kielbogen-Schlitzfenstern;
Außengestaltung des mittleren Chorfensters.
Renaissance: Grabsteine von Georg Blanck (†1579) und Magdalena Blanck, geb. von Einsiedel (†1597);
Kanzel, bemerkenswerte Schnitz- und Intarsienarbeit um 1600, durch den Umbau von 1844 nur zum Teil erhalten.
Barock: Grabstein von Pfarrer Magister Caspar Nicolai (†1707); Altarrückwand von 1736.
Jugendstil: 2 schmiedeeiserne Kommunikantengitter (seitlich des Altars), Lesepult und hölzerne Taufe (alles nach dem Entwurf von Fritz Drechsler 1903).
Gerhard Graf, Leipzig-Wahren, Frühjahr 2010