Die Altarweihe am 15. Mai 1321

Im Mai diesen Jahres können wir ein besonderes Jubiläum begehen: Am Freitag nach Jubilate 1321 wurde der Altar der Kirche in Hänichen dem heiligen Vinzenz geweiht. Coronabedingt wird es kein großes Fest geben, wie noch vor zehn Jahren, als die Wiedereinweihung der Kirche nach der Generalsanierung von 2009 bis 2011 mit dem Tag der Altarweihe verknüpft wurde.

Woher kennen wir dieses Datum aber so genau, und was geschah da vor 700 Jahren? Nach dem Bautagebuch von Pfarrer Martin Melzer fand man beim Umbau der Hänicher Kirche im Jahr 1906 in der Mensa – der Steinplatte des Altars – einen Schacht, das so genannte Sepulcum (lat. Grab). Nach dem heutigen Wissenstand (s.u.) muss man sich diese „Finden“ jedoch eher als gewaltsamen Einbruch vorstellen.

Im Sepulcrum befanden sich ein gleich nach dem Auffinden zerbrochenes Siegel aus Wachs sowie Reliquien, die den Heiligen Gregorius, Marinus, Cassianus und den Elftausend Jungfrauen zugeschrieben waren – außerdem den nachstehend abgebildeten Pergamentstreifen, der die Weihe des Altars beurkundete:

Pergamentstreifen mit Weiheinschrift Originalgröße 22,2 x 1,8 cm, Aufnahme Ch. Sandig, Leipzig

Die Auflösung der lateinischen Kurzschrift lautet:

Anno domini MCCCXXI feria VI proxima post dominicam iubilate consecratum est hoc altare in honorem beatae Mariae virginis et sancti Vincentii martyris per venerabilem dominum fratrem Ludewicum episcopum Marroniensem de consensu reverendi domini Geuehardi Merseburgensis ecclesiae electi et confirmati.

Die Übersetzung der lateinischen Kurzschrift lautet:

Im Jahr des Herrn 1321 ist am Freitag nach dem Sonntag Jubilate (demnach am 15. Mai) dieser Altar zur Ehre der seligen Jungfrau Maria und des heiligen Märtyrers Vinzenz geweiht worden durch den verehrungswürdigen Herrn Bruder Ludwig, Bischof von Marronia, im Einvernehmen des hochwürdigen Herrn Gebhard, des (päpstlich) bestätigten Erwählten der Merseburger Kirche.

Das Kirchenrecht sah vor, dass jedes Bistum jeweils nur einen Bischof als Leiter haben sollte. Deshalb hätte eigentlich Bischof Gebhard von Schraplau, amtierend 1320 bis 1340, in der zu seinem Bistum Merseburg zählenden Kirche von Hänichen 1321 die Altarweihe selbst vornehmen müssen. Aber er war zu diesem Zeitpunkt der bisher nur gewählte und bestätigte, jedoch noch nicht der geweihte Bischof. Er musste daher einen Stellvertreter finden und entsandte als Hilfs- bzw. Weihbischof den Amtsbruder Ludwig mit der für Deutschland auffälligen Bezeichnung eines Bischofs von Marronia. Dem Namen nach verband sich damit kaum mehr als ein leerer Titel, denn das Bistum Marronia lag fernab in Griechenland an der thrakischen Küste, wurde zwangsweise während der Kreuzzugszeit westkirchlich (katholisch) und war inzwischen wieder in ostkirchlichem (orthodox) Besitz. Kirchenrechtlich war jedoch der Anspruch dieses Titels nicht erloschen und damit Ludwig von Marronia legitimiert zur Ausübung seiner bischöflichen Funktion auch in anderen Bistümern. Von Haus aus gehörte Weihbischof Ludwig zum Bettelorden der Augustinereremiten an. Seine Grabplatte im Erfurter Kloster dieses Ordens nennt als Todesjahr 1323.

Epitaph für Bischof Ludwig von Marronia
im Evangelischen Augustinerkloster Erfurt,
(Aufnahme Lutz Edelhoff, Erfurt)

Aus Gründen der Ökumene und da die Reliquien ein eher unwürdiges Dasein in einer Pappschachtel im Tresor der Lützschenaer Kanzlei fristete, reifte 2010 – kurz bevor der restaurierte barocke Altaraufsatz wieder aufgestellt wurde –  der Entschluss, diese wieder an ihren ursprünglichen Aufbewahrungsort zu verbringen. Neben dem Pergamentstreifen der Weihe wurde ein zweites Pergament hinzugefügt, welches nun einen Bogen von 1906 zu 2011 spannt und mit dem Siegel der Lützschenaer Kirchgemeinde versehen ist.

Gemäß den historischen Befunden wurde das Sepulcrum mit einer Sandsteinplatte vermörtelt sowie zwei Eisenspangen, deren Enden mit Blei eingegossen wurden, verschlossen.

Steffen Berlich

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